Nicht nur Digitalisierung und VUCA Welt stellen Unternehmen und Führungskräfte vor große Aufgaben und Herausforderungen, jetzt auch noch Corona. Wie kann in diesen Zeiten Führung überhaupt gelingen? Woran kann man sich orientieren, wenn sich die Umwelt ständig verändert und derzeitige Entwicklungen unberechenbar sind. Es könnte die Renaissance des ressourced based view sein.

Der derzeitige Status Quo

Die Corona-Pandemie ist eine nie dagewesene Bedrohung für die Wirtschaft. Dem IWF zufolge ist mit der schlimmsten Rezession seit der großen Depression zu rechnen. Für Deutschland wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um sieben Prozent prognostiziert.[i] 640.000 Anträge auf Kurzarbeit gingen bis 06.04.2020 bei den Arbeitsagenturen ein.[ii]

Mehr denn je wird zudem deutlich: Unternehmen, die bisher schon weit fortgeschritten waren in der Digitalisierung ihrer Prozesse und Dokumente sind derzeitig denjenigen überlegen, die noch vorwiegend analog arbeiten. Die Notwendigkeit der Digitalisierung wird dazu noch verstärkt, weil davon auszugehen ist, dass die derzeitige Umstellung auf Home Office die Arbeitswelt nachhaltig verändern wird. Die Dynamik der technologischen Entwicklungen macht vor Corona zumindest keinen Halt. Sie hält sich nicht an Grenzschließungen, Kontaktverbote oder Ausgangssperren. Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen sind weiterhin arbeitsfähig und können Innovationen vorantreiben. Damit bleibt auch die Gefahr bestehen, dass etablierte Geschäftsmodelle disruptiert werden und neue Wettbewerber für etablierte Unternehmen entstehen. 

Für Führungskräfte stellt sich immer mehr die Frage, welche Entscheidungen sie treffen sollen und wie unter dieser Unsicherheit, komplexen Zusammenhängen und uneindeutigen Entwicklungen Führung gelingen kann.

Umdenken als Chance 

Vielleicht hilft aber genau diese Situation, die zum Handeln zwingt, einen entscheidenden Change einzuleiten, der auch in Zukunft dafür sorgt, dass die VUCA-Welt weniger als Bedrohung, sondern quasi als Raum für unendliche Chancen begriffen werden kann.

Klassischen Ansätzen der Strategieentwicklung wie sie zum Beispiel auf Basis von Porters Five Forces Modell entwickelt werden, liegt die Annahme zugrunde, dass der Erfolg eines Unternehmens indirekt von der Struktur des Marktes anhängt. Die Wettbewerbsstrategie eines Unternehmens sollte sich demzufolge an der Rivalität unter bestehenden Wettbewerbern, Bedrohungen durch neue Anbieter, der Verhandlungsstärke der Lieferanten, der Verhandlungsstärke von Kunden sowie der Bedrohung durch Ersatzprodukte ausrichten. Porter selbst betont, wie sehr das Internet und neue Technologien die Stärke der Kräfte für Unternehmen verändert hat.[iii]

In einer VUCA-Welt ist jedoch nicht nur ein zunehmender Wettbewerbsdruck zu spüren auch die Marktstruktur selbst ist volatil. Sie verändert sich stetig. Bedrohungen entstehen kontinuierlich durch Ersatzprodukte, neue Wettbewerber oder veränderter Macht von Lieferanten und Kunden. Strategieentwicklungen abhängig zu machen vom Unternehmensumfeld und der Marktstruktur, wie es der marked based view beinhaltet, scheint unter den derzeitigen Bedingungen wenig erfolgsversprechend. Statt Reaktion auf Strukturen ist eine aktive Entwicklung neuartiger Geschäftsmodelle und Strategien notwendig.

Die Renaissance des ressourced based view

Wie aber agieren, wenn der Markt unberechenbar ist? Wenn alles dynamisch ist, scheint es sinnvoll darauf zu schauen, was eine solide und verlässliche Basis ist. Diese findet sich in den inneren Stärken des eigenen Unternehmens. Führende Digitalunternehmen mit agilen Strukturen geben ihren Mitarbeitern lediglich eine Vision und eine Mission vor. Wie genau diese erreicht wird, wird in einer Vielzahl von autonom arbeitenden Arbeitseinheiten selbstständig erarbeitet. Jeder Mitarbeiter trägt entsprechend seiner Fähigkeiten und Kompetenzen dazu bei. Neue Ideen und Lösungen entstehen durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung von Ideen. Was heute vielfach unter Agilität gefasst wird, ist im Kern der Grundgedanke des ressourced-based view. Ausgehend von den internen Ressourcen, z. B. dem Know-how des Unternehmens, der Mitarbeiter und der Führungskräfte können Erfolgsstrategien entwickelt werden, ohne durch VUCA-Welt stetig infrage gestellt zu werden. Ressourcen sind Stärken, die nicht abhängig von Umweltveränderungen sind. 

Doch welche Ressourcen und Stärken sind im Unternehmen vorhanden? Folgende Fragen kann jedes Unternehmen für sich beantworten:

  • Was macht mein Unternehmen einzigartig?
  • Was können wir besser als alle anderen?
  • Welches Wissen und welche Erfahrungen haben meine Mitarbeiter auch fernab von dem, was in Beurteilungsbögen und Personalakten zu finden ist? 
  • Welche Möglichkeiten gibt es bei uns, Wissen ständig zu erweitern?
  • Wie können Mitarbeiter ihr Wissen untereinander austauschen? Welchen Raum gibt es dafür?
  • Wie weiß jeder, welche Ideen bereits bestehen?

Eine parallel zur bestehenden Struktur eingerichtete Projektstruktur, innerhalb derer sich zeitlich befristet einem bestimmten Thema gewidmet wird, reicht hier jedoch nicht aus, um schnell innovative Ideen zu entwickeln. Die VUCA-Welt zeigt einmal mehr die Bedeutung auf, dass erfolgreiche Strategien nicht durch starre Prozesse und top-down Planungen entstehen können. Erfolgreiche Strategien sind adaptiv, richten sich auf die Vision und Mission aus und entwickeln sich dynamisch weiter. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass alles im Unternehmen dem Diktat der Agilität unterworfen werden muss. Aber es bedeutet, da wo Zusammenhänge komplex sind und wo Umweltbedingungen höchst dynamisch sind, ist es Zeit für agile Führung. 

Die neue Aufgabe von Führungskräften

Was bedeutet agile Führung genau? Im Sinne des ressourced based view ist hier nicht das bloße Anwenden von agilen Methoden wie Scrum oder Design Thinking gemeint. Es bedeutet, ein anderes Verständnis von Führung zu entwickeln, so dass die internen Mitarbeiterressourcen ihr Potenzial entfalten können. Es gilt sich als Führungskraft selbst zurückzunehmen und Raum zu schaffen für kreative Ideen. Führungskräfte sind damit mehr als je zuvor als Vernetzer von Ideen und Enabler für Mitarbeiter gefragt. Ihre Aufgabe ist es, den Rahmen zu schaffen, in dem die wichtigsten Ressourcen in ihrem Unternehmen – die Mitarbeiter und ihr Know-how – zusammenkommen, um neue Lösungen und Ideen zu entwickeln. Es ist die Stunde der Stärkung unternehmensinterner Ressourcen oder eben die Renaissance des ressourced based view unter Nutzung neuere digitaler Technologien und agiler Methoden sowie eines agilen Mindsets.[iv]

Denn eines wird deutlich: In dieser Situation hat niemand Erfahrungswissen. Führung auf Basis von altem Erfahrungswissen kann damit kein Erfolgsmuster sein. Erfolgreich sind diejenigen, die vielmehr aus vielen Erfahrungen lernen. Mitarbeiter befähigen und entsprechend ihrer Kompetenzen einsetzen, Vernetzung und Wissensaustausch ermöglichen sind ein guter Anfang für erfolgreiches Führen in Zeiten von Digitalisierung, VUCA und Corona. 

Die Nutzung und die Stärkung der eigenen inneren Ressourcen ist damit ein Weg, um in VUCA-Zeiten erfolgreich zu bleiben oder zu werden. 


[i] Vgl. IWF (2020): World Economic Outlook Reports. Online: https://www.imf.org/en/publications/weo (Stand: 01.05.2020; Abruf: 01.05.2020)

[ii] Bundesagentur für Arbeit (2020): Zahl der Anzeigen für Kurzarbeit wächst weiter dynamisch. Presseinfo Nr. 22 vom 09.04.2020. Online: https://www.arbeitsagentur.de/presse/spr-2020-22-anzeigen-kug-waechst-weiter-dynamisch (Abruf: 01.05.2020)

[iii] Vgl. Porter, M. (2001): Strategy and the Internet. In: Harvard Business Review. 03/2001, S. 1-20.

[iv] Vgl. Küster, H. (2014): Leadership Agility. Wirksame Führung für eine digitalisierte Welt. Aktualisierte und erweiterte Fassung des Artikels „Leadership Agility – die Führungsherausforderung in der IT“ erschienen in Michael Lang: „CIO 3.0: Die neue Rolle des IT Managers“, Symposium Publishing 2014 

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